Rückenschmerzen aus Expertensicht

Patientengespräch Rückenschmerzen

Bewegungsmangel, Fehlhaltungen und Stress - das sind die häufigsten Ursachen für die Volkskrankheit Nummer eins. Was können wir gegen Rückenschmerzen tun? Fünf Experten geben Tipps.

DER ORTHOPÄDE: JOACHIM MALLWITZ

Rückenschmerzen sind überwiegend muskulären Ursprungs. In der Regel verschwinden sie von allein wieder. Häufig steckt eine Bewegungseinschränkung kleiner Wirbelsäulengelenke in Verbindung mit einer Verspannung der Rückenmuskulatur dahinter. Eine Schädigung von Nerven spielt bei unkomplizierten Rückenschmerzen keine Rolle. In der akuten Rückenschmerzphase sollten Betroffene so weit wie möglich in Bewegung bleiben. Das verbessert die Durchblutung der Muskulatur und ermöglicht dadurch einen erhöhten Zustrom an Molekülen, die den Zellen Energie liefern (ATP-Molekülen). So kann sich der Rückenmuskel schneller wieder entspannen.

Darüber hinaus verbessert der häufige Positionswechsel zwischen Sitzen, Stehen, Gehen und Liegen die eingeschränkte Mobilität der bewegungsgestörten Wirbelsäulenregion. Auch Dehnungsübungen und Wärmeanwendungen (zum Beispiel ein heißes Bad oder eine heiße Dusche, ein Saunabesuch oder ein Wärmepflaster) tragen zur Linderung der Beschwerden bei. Schonung oder gar mehrtägige Bettruhe sind für eine zügige Rückkehr in den Alltag nicht hilfreich. Um nicht in die Unbeweglichkeit zu verfallen, können vorübergehend Tabletten (etwa Paracetamol) zur Linderung der Beschwerden eingenommen werden.

Bei chronischen Rückenschmerzen sollte unbedingt eine Stabilisationsbehandlung mit Rückenübungen zur Kräftigung erfolgen; das erhöht die Leistungsfähigkeit der Rumpfmuskulatur. Zusätzlich rate ich, die Koordination sowie Herz und Kreislauf zu trainieren. Strahlt der Rückenschmerz in ein Bein aus und überwiegt der Beinschmerz deutlich, muss auf jeden Fall ein Arzt aufgesucht werden.

Dr. Joachim Mallwitz leitet das Rückenzentrums am Michel in Hamburg.

DIE SPORTWISSENSCHAFTLERIN: CHRISTIANE WILKE

Bewegung ist die beste Medizin gegen Rückenschmerzen. Sie kräftigt die Muskulatur und hilft der Wirbelsäule, langfristig intakt zu bleiben. Auch die Bandscheiben sind auf Bewegungen angewiesen. Sie sind das größte Selbstversorgungssystem unseres Körpers und werden ausschließlich durch den Wechsel von Be- und Entlastung mit lebenswichtigen Nährstoffen wie Aminosäuren, Glukose und Sauerstoff versorgt. Diese Versorgung setzt bereits bei einem Spaziergang ein.

Grundsätzlich ist jede Form der Bewegung, die Spaß bereitet, für den Rücken förderlich. Für Menschen mit häufigen Rückenschmerzen eignen sich besonders Aquafitness, Nordic Walking und Radfahren - vorausgesetzt, das Fahrrad ist ausreichend gedämpft. Bei diesen Sportarten werden Stöße auf die Wirbelsäule, wie etwa beim Joggen, weitgehend vermieden. Ein Vorteil von Aquafitness ist, dass wichtige Muskeln gekräftigt, Gelenke und Wirbelsäule aber gleichzeitig entlastet werden. Nordic Walking ist eine sichere Bewegungsform, die langfristig die Mobilität erhält. Beim Radfahren fördert die asymmetrische Tretbewegung die tiefe Rückenmuskulatur.

Die Rückenstrecker werden durch intensive Haltearbeit ebenfalls trainiert. Wer eine Spielsportart mit hohem Laufanteil, beispielsweise Handball, ausübt, sollte sein wöchentliches Training um eine Einheit Radfahren zur Stärkung der tiefen Rückenmuskulatur erweitern. Optimal ist es, zwei- bis dreimal pro Woche mindestens 30, besser 45 bis 60 Minuten, zu trainieren.

Dr. Christiane Wilke arbeitet an der Sporthochschule Köln.

DIE EXPERTIN DER ALEXANDER-TECHNIK: MEIKE STROHBACH

Die Alexander-Technik ist eine der ältesten Methoden ganzheitlicher Körperarbeit. Sie geht davon aus, dass wir es verlernt haben, uns körpergerecht zu bewegen und zu halten. Oft sind Kopf, Nacken und Rücken zu großen Belastungen ausgesetzt. Spätestens wenn Schmerzen auftreten, wird klar, dass etwas nicht stimmt. Dann versuchen wir, uns "richtig" zu halten, nutzen dabei aber - ohne es wahrzunehmen - noch mehr Muskelkraft an falscher Stelle.

Um dies zu korrigieren, sollten Sie sich zuerst genau selbst beobachten. Zum Beispiel: Wann verlagern Sie unbewusst den Kopf, ziehen Sie die Schulter hoch oder kippen Sie das Becken? Wenn Sie das nächste Mal eine Bewegung bewusst ausführen wollen, halten Sie kurz inne. Nehmen Sie wahr, welche Muskelanspannungen sich allein dadurch schon lösen. Anschließend führen Sie die Bewegung bewusster und mit weniger Kraft aus.

Bei akuten Rückenverspannungen empfehle ich, sich 15 Minuten mit locker aufgestellten Beinen auf den Boden zu legen. Stützen Sie den Kopf mit Büchern, so dass der Hals rundherum weich ist und nicht vor- oder zurückkippt. Vermeiden Sie alle überflüssige Muskelarbeit an den Auflageflächen. Nehmen Sie wahr, wie sich Ihr Atem im Körper ausbreitet. Denken Sie daran, wie der Boden Sie von unten unterstützt. Die Bandscheiben füllen sich dadurch wieder mit Wasser und können besser als Puffer dienen. Die Verspannungen lösen sich.

Meike Strohbach ist Mitglied im Alexander-Technik-Verband Deutschland E. V. (Atvd) in Berlin.

DIE PSYCHOLOGIN: JULIA SCHARNHORST

Wenn Erkrankungen wie ein Bandscheibenvorfall, ein Tumor oder Osteoporose ausgeschlossen wurden, liegt wahrscheinlich ein so genannter unspezifischer Rückenschmerz vor. Dieser wird meist durch mehrere Ursachen ausgelöst: Fehlhaltungen, Bewegungsmangel und psychische Faktoren wie Stress, Depressionen oder Probleme am Arbeitsplatz.

Hilfreich kann das Erlernen eines Entspannungsverfahrens, zum Beispiel des autogenen Trainings, sein. Dies verbessert die Körperwahrnehmung. Aufkommende Verspannungen oder Fehlhaltungen lassen sich so frühzeitig erkennen und sogar verhindern. Gleichzeitig wirken Entspannungsübungen dem Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber Schmerzen entgegen.

Sinnvoll kann es ebenfalls sein, ein Rückenschmerz-Tagebuch zu führen. Darin wird jeden Tag eingetragen, wie stark die Schmerzen waren (beispielsweise auf einer Skala von null bis 100). Dazu wird notiert, was man den Tag über gemacht hat und ob es irgendwelche stressigen Situationen gab. So lassen sich mit der Zeit Muster erkennen: Hängen die Schmerzen vielleicht mit anstrengenden Tagen im Job zusammen? Hilft Bewegung gegen die Schmerzen?

Außerdem ist es wichtig, sich abzulenken, statt ständig in sich hineinzuhorchen und auf den Schmerz zu warten. Besser ist es, schöne Dinge im Alltag einzuplanen, die die Wahrnehmung nach außen lenken.

Julia Scharnhorst ist Diplom-Psychologin und Trainerin für Stressmanagement in Wedel/Holstein.

DER FASZIEN-FORSCHER: STEFAN DENNENMOSER

Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse weisen dem Bindegewebe, den so genannten Myofaszien, eine bedeutende Rolle bei der Entstehung von Rückenschmerzen zu. In diesem "Verpackungsmaterial des menschlichen Körpers" finden sich bei Schmerzpatienten lokale Verhärtungen, Verklebungen und Entzündungszeichen.

Oftmals resultieren diese schmerzverursachenden Schädigungen aus langjährigen Fehlhaltungen, Überlastungen oder Traumata, die auch weit entfernt vom Rücken liegen können. So können ein ehemals verstauchtes Sprunggelenk, eine Operation am Bauch, die alleinige Nutzung einer Hand (dominante Einhändigkeit) oder ein zu lockerer Beckenboden die Ursachen faszialer Dysbalancen sein. Diese können trotz symptomatischer Behandlung des Rückens immer wieder zu Schmerzen führen.

Faszien lieben achtsame Bewegungen, elastische Schwünge, langsame Massagen, entspannende Atemübungen und aktives Stretching. Gegen Rückenschmerzen hilft folgende Übung: Stellen Sie sich gebeugt vor einen Stuhl und stützen Sie die Hände auf die Sitzfläche. Atmen Sie tief ein und aus und runden Sie mit dem Ausatmen den Rücken. Dabei nicht den Nacken anspannen.

Ergänzend kann die Wirbelsäule in der Rundung eine kleine schlangenartige Bewegung machen. Nach einigen Wiederholungen lösen Sie die Haltung wieder und spüren der "Wirbelschlange" nach. Hilfreich sind auch "Faszienrollen" - quasi festere Schwimmnudeln (erhältlich im Sanitätsfachhandel). Sie ermöglichen eine deutlich spürbare und wohltuende Selbstmassage. Dadurch verbessern sich Elastizität und Wasserbindungsfähigkeit des Gewebes.

Stefan Dennenmoser ist Rolfing-Therapeut, Doktorand und Mitarbeiter der Fascia Research Group an der Universität Ulm.

Quelle: Kirsten Hoffmeister | BRIGITTE woman 02/2014

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